Gewalt im Sport Anlaufstelle für Betroffene von Gewalt und Missbrauch im Aufbau

Stand: 16.12.2021 09:14 Uhr

Der Verein Athleten Deutschland beginnt mit dem Aufbau einer unabhängigen Anlaufstelle für Betroffene von Gewalt und Missbrauch im Spitzensport. Das teilte die Interessenvertretung der Kaderathletinnen und -athleten mit. Die Anlaufstelle soll Betroffenen unter anderem psychologische und juristische Erstberatung anbieten.

Das gibt es bisher noch nicht: Eine von Vereinen und Verbänden unabhängige Anlaufstelle für Betroffene von Gewalt im Sport. Der Bedarf ist groß. Das hat die gerade veröffentlichte Studie "Sicher im Sport" noch einmal deutlich gemacht. Demnach haben mehr als zwei Drittel der Befragten angegeben, dass sie im Vereinssport bereits eine Gewalterfahrung gemacht haben. Betroffene haben das in vielen Gesprächen bestätigt.  

So auch die frühere Fußballerin Nadine. Sie hatte gegenüber dem WDR-Magazin "Sport inside" geschildert, dass sie als Zehnjährige durch einen damaligen Betreuer schwerste sexuelle Übergriffe erfahren habe. Auch bei einer öffentlichen Veranstaltung vor knapp einem Jahr hatte sie darüber gesprochen und dann gesagt: "Das ist meine Geschichte, macht was damit."

Bis dahin war aus ihrer Sicht außer Gesprächen nichts passiert. Der Aufbau der unabhängigen Anlaufstelle ist für sie nun ein wichtiges Zeichen, dass jetzt konkret gehandelt werde. "Die Anlaufstelle wird ja auch aufgebaut, weil es konkrete Fälle gibt, und Menschen, die sich jetzt schon melden und die jetzt Hilfe brauchen. Das ist der Anlass um konkret zu handeln. Das finde ich wahnsinnig gut", sagte sie der Sportschau.

Neue Bundesregierung unterstützt Safe-Space-Pläne

Die frühere Fußballerin ist aktiv in den Entstehungsprozess der Anlaufstelle eingebunden. Dem Verein Athleten Deutschland ist die Expertise von Betroffenen beim Aufbau und der Umsetzung wichtig, erläutert Johannes Herber, Geschäftsführer des Vereins auf Anfrage: "Wir werden uns da ausgiebig beraten lassen, damit sichergestellt ist, dass die Prozesse so gestaltet sind, dass sich Betroffene darin wohlfühlen. Dass, wenn sie das wünschen, auch immer Anonymität gewährleistet ist. Auf der anderen Seite brauchen wir aber auch ihren Rat, mit welcher Sprache richten wir uns an die Athletinnen und Athleten damit eben auch Vertrauen gefasst werden kann."

Athleten Deutschland ist in den vergangenen Monaten verstärkt von Betroffenen kontaktiert worden. Der Verein hatte den Einsatz gegen Gewalt und Missbrauch im Sport zu einem seiner Kernthemen gemacht. Unter anderem hatte er die Idee eines Zentrums für Safe Sport in die Debatte eingebracht.

Die neue Bundesregierung unterstützt den Plan dieser unabhängigen, übergeordneten Struktur. Das Zentrum soll sich um Präventionskonzepte und ihre Überprüfung kümmern, um die Arbeit an konkreten Fällen und ihre Sanktionierung und die Begleitung von Vereinen und Verbänden bei der Aufarbeitung.

Vertrauen in Strukturen muss entstehen

Für die Unterstützung von Betroffenen ist die nun entstehende Anlaufstelle der erste Praxisbaustein im großen Ganzen. Noch ist die Stelle in der Entstehungsphase, "aber wenn sich jetzt schon jemand melden möchte, sind wir bereits in der Lage, Betroffene an kompetente Personen weiterzuleiten", bekräftigt Johannes Herber. Aber auch, wenn sich Betroffene aus dem Breitensport melden, werde man ihnen "nicht die Tür vor der Nase zuschlagen, sondern sie an entsprechende Stellen in unserem Netzwerk weitervermitteln".

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Innerhalb der Sportstrukturen gibt es bei Landessportbünden und Fachverbänden bereits Ansprechpersonen für das Thema. Viele Betroffene haben in Gesprächen allerdings geschildert, kein Vertrauen in die Sportstrukturen zu haben etwa weil unklar sei, was mit ihrer Meldung tatsächlich passiert, oder weil sie den Willen zum Handeln vermissen.

Für Betroffene wie die ehemalige Fußballerin Nadine ist daher wichtig, "dass sich die Anlaufstelle an den Bedürfnissen der Athleten orientiert, ihre Rechte gesehen und gewahrt werden und das unabhängig von den großen Sportinstitutionen".

Athleten Deutschland möchte vorangehen

Auch das für den Sport zuständige Bundesinnenministerium (BMI) hat im September ein Konzept für eine "Ansprechstelle für Betroffene sexualisierter Gewalt" vorgelegt. Dazu habe der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) dem BMI eine schriftliche Stellungnahme übermittelt, teilte eine Sprecherin des Ministeriums auf Anfrage mit: "In dieser Stellungnahme unterstützt der DOSB grundsätzlich die Einrichtung einer solchen Ansprechstelle." Auch die Länder hätten die Pläne grundsätzlich begrüßt.

Die neue Leitung des BMI sei über das Vorhaben informiert worden. "Über das weitere Vorgehen wird voraussichtlich in Kürze entschieden. Eine Umsetzung in 2022 ist grundsätzlich vorstellbar."

Der Verein Athleten Deutschland begrüßt, dass das Bundesinnenministerium bei dem Thema aktiv geworden ist und ein Konzept für eine Ansprechstelle vorgelegt hat. "Wir haben aber einfach gemerkt, dass wir aufgrund unserer Agilität voran gehen können. Wir hatten auch die Finanzierung gesichert und haben gesagt, wir legen jetzt los damit, weil der Bedarf existiert", so Johannes Herber. In wenigen Monaten könne die Stelle ihre Arbeit aufnehmen.

"Ich freue mich, dass es jetzt losgeht", erklärt Fußballerin Nadine und spricht wahrscheinlich vielen Betroffenen aus der Seele.