Stichtag

03. August 2004 - Vor 50 Jahren: Gabrielle Sidonie Colette stirbt in Paris

Im Jahr 1900 erscheint in Paris der Roman "Claudine à l'école". Als Verfasser steht in dem Buch der damals 42-jährige, stadtbekannte Schriftsteller, Musikkritiker und Playboy Henry Gauthier-Villars, genannt "Willy". Doch bald ist auch stadtbekannt, dass in Wahrheit seine fünfzehn Jahre jüngere Frau die Geschichte des Schulmädchens Claudine geschrieben hat. Willy hatte Gabrielle Sidonie Colette aus der burgundischen Provinz nach Paris geholt, geheiratet, in das Leben der Belle Epoque eingeführt - und eingesperrt, damit sie etwas schreibt, mit dem er Geld verdienen kann.Kaum ist das heraus, wird das Mädchen vom Lande Kult in Paris. Colette trennt sich von ihrem Mann, macht Karriere als Variété-Star und gibt sich als Skandal-Autorin: Sie küsst ihre Freundin Baronin Belboeuf in aller Öffentlichkeit. Sie heiratet den Verleger Henry de Jouvenal und hat ein Verhältnis mit dessen Sohn. Sie schreibt im Roman "Chéri" freizügig über die Liebesbeziehung einer älteren Frau zu einem jungen Schönling. Sie selbst heiratet 1935 zum dritten Mal – den fünfzehn Jahre jüngeren Belgier Maurice Goudeket. Ihre Bücher stehen inzwischen auf dem Index des Vatikans und in den Giftschränken gutbürgerlicher Familien.

Mit ihren scheinbar leichthin geschriebenen psychologischen Meisterwerken und ihrem ebenso leichthin gelebten Leben erobert sie die Herzen der Franzosen. Sie gilt als Wunder- und Naturkind der Literatur. Hollywood verfilmt 1958 ihren Roman "Gigi" (mit Leslie Caron und Maurice Chevalier in den Hauptrollen). Frankreich ernennt sie als erste Frau zum Offizier der Ehrenlegion. Als sie am 3. August 1954 nach Jahren schwerer Krankheit stirbt, erhält sie, wiederum als erste Frau, ein Staatsbegräbnis. Über sechstausend Trauergäste defilieren an ihrer Bahre vorbei.Stand: 03.08.04